Das Thema Markenkern hat ein Kernproblem. Ungeachtet dessen, suchen Organisationen und inzwischen sogar Individuen nach ihrem Markenkern. Was hat es damit auf sich und wie kann es sein, dass auch Journalisten diesen Terminus unvoreingenommen übernehmen?
Marken fungieren als Bedeutungsrelation. Etwas gilt in den Köpfen möglichst vieler Menschen für etwas. Dazu bedarf es einer Markierung, um den Geltungsanspruch öffentlich zu vertreten. Um einen alte Werbetautologie zu zitieren: „Nur wo Nutella draufsteht, ist auch Nutella drin.“ Da die meisten Waren heute nicht mehr als Erzeugnis einer Persönlichkeit erlebt werden, kaum noch jemand weiß, welche Menschen hinter den schnelllebigen Konsum- und Gebrauchsgütern stecken, erfand man den Anthropomorphismus Markenpersönlichkeit. Die Ware wird also personifiziert, um die ursprünglich persönliche Vertrauensbeziehung zwischen natürlichen Personen wieder herzustellen. Seitdem ist die Markenpersönlichkeit eine allgemein akzeptierte Metapher für Marketing und Vertrieb, bei der immer häufiger auch die Experten nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Kritisch gewendet kommt der Journalist Joel Bakan (2004) zu dem Ergebnis, dass sich die meisten Markenpersönlichkeiten nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation wie klinische Psychopathen verhalten.
Der Markenkern ist nach Ansicht der Marketingexperten nun so etwas wie die Seele der Markenpersönlichkeit. Dahinter verbirgt sich eine traditionsreiche und gleichermaßen antiquierte wie hochphilosophische Vorstellung, die in Person des Flaschengeistes eines berühmten Haushaltsreinigers realpräsent wird. Es geht um die Rede vom Personenkern, über die der Philosoph Odo Marquard (1979: 348) bemerkt, dass damit nicht das gemeint sei, „was die Menschenfresser ausspucken müssen“. Die Kernmetapher führt dabei unweigerlich zu der Unterscheidung zwischen Schein und Sein. In guter deutscher Tradition; denn „mehr sein als scheinen“ lautete schon die Aufforderung der preußischen Generalität. Bei Kurt Tucholskys (1929) wird daraus der Deutsche als „Bruder Innerlich“ und dieser „entschuldigt gern einen ungepflegten Stil mit der Tiefe des Gemüts, aus der es dumpf heraufkocht“.
Man wundert sich, dass z.B. Parteien wie die FDP nach ihrer Innerlichkeit respektive ihrem Kern suchen, hatte doch der große Liberale Lord Dahrendorf bereits in den 60er Jahren mit der Rollentheorie ein zeitgemäßeres Identitätsverständnis aus dem Angelsächsischen in Deutschland salonfähig gemacht.
Die SINNSPIELER sehen es so:
Die Differenz zwischen Kern und Hülle beziehungsweise Schein und Sein ist nicht mehr der Rede wert. Der Kern ist trivial, weil sich im Kern nichts unterscheidet. Vielmehr ist die Marke das, was sie ist, indem sie wird, was sie gesellschaftlich anerkannt darstellt. Nimmt man dieses Rollenmodell ernst, dann haben Marken kein Kern-, sondern ein Performanceproblem. In jedem Fall sollte man das Problem der Markenidentität mit zeitgemäßen Identitätsverständnissen behandeln (siehe Sinntest Identität) und nicht frei nach Platon die im Markenkörper verbannte Seele suchen.
Literatur
Bakan, Joel (2004): The Corporation. The Pathological Pursuit of Profit and Power. New York; London; Toronto; Sydney: Free Press.
Marquard, Odo (1979): Identität: Schwundtelos und Mini-Essenz – Bemerkungen zu einer Genealo-gie einer aktuellen Diskussion. In: Marquard, Odo / Stierle, Karlheinz. Poetik und Hermeneutik VIII. Identität. München: Fink, 347-369.
Tucholsky, Kurt (1929): „Schwarz auf Weiss“. In: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Herausgegeben von Mary Gerold-Tucholsky u. Fritz Raddatz. 1975, Band 7, S.49.