Identität

Identität f. erw. fach. (<18. Jh.). Entlehnt aus ml. Identitas, einem Abstraktum zu 1. Idem ‚der selbe’, einer Erweiterung von 1. is ‚er, der’. (Kluge Etymologisches Wörterbuch, der dt. Sprache).
„Das Thema »Identität« hat Identitätsschwierigkeiten.“ (Marquard 1979: 347)

Das Kernproblem der Identität wird im Märchen »Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich« in Grimms Märchen an erster Stelle thematisiert. Ein ansehnlicher Prinz erscheint als garstiger Frosch und wird als happy end aus dem Froschkörper befreit. Ähnlich die Identitätsvorstellung Platons, nach der zwischen der eigentlichen menschlichen Seele und dem Körper, in dem diese verbannt ist, unterschieden wird. Es ist die alte und offensichtlich zeitlose Vorstellung vom Personenkern, über die der Philosoph Odo Marquard (1979: 348) bemerkt, dass damit nicht das gemeint sei, „was die Menschenfresser ausspucken müssen“. Die Kernmetapher führt unweigerlich zu der Unterscheidung zwischen Schein und Sein. In deutscher Tradition; denn „mehr sein als scheinen“ lautete bekanntlich die Aufforderung der preußischen Generalität. Bei Kurt Tucholskys (1929) wird daraus der Deutsche als „Bruder Innerlich“ und dieser „entschuldigt gern einen ungepflegten Stil mit der Tiefe des Gemüts, aus der es dumpf heraufkocht“.

Die Differenz zwischen Kern und Hülle beziehungsweise Schein und Sein ist zumindest wissenschaftlich nicht mehr up to date. Das sozialpsychologisch aktualisierte Identitätsverständnis definiert den Menschen „dadurch, daß einer ist, was er ist, indem er wird, was er – gesellschaftlich anerkannt – darstellt“ (Marquard 1979: 350). Das deckt sich weitgehend mit dem Imagebegriff von Goffman:

Der Terminus Image kann als der positive soziale Wert definiert werden, den man für sich durch
die Verhaltensstrategie erwirbt, von der die anderen annehmen, man verfolge sie in einer bestimmten Interaktion. (1967: 10) […] Von einer Person kann man sagen, daß sie ein Image hat, besitzt oder es wahrt, wenn ihre Verhaltensstrategie ein konsistentes Image vermittelt, daß durch Urteile dieser Situation bestätigt wird. (ebd. 11 und vgl. Goffman 1959)

Damit wird die Identität zur Rolle bzw. Rollen, die abhängig von den jeweiligen sozialen Rahmen bzw. Referenzgruppen, mit denen man kommuniziert, vielgestaltig sind. Und anstatt sich mit seinem Innersten (Kern, Seele etc.) zu beschäftigen, müsste man mehr Wert legen auf die Performance. In jedem Fall sollte man Identitätsprobleme mit zeitgemäßen Identitätsverständnissen behandeln und nicht weiter die im Körper verbannte Seele suchen.

Auch der Bezug zur Ästhetik und Kunst soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, sind doch die spannendsten Stücke der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation nicht selten großes Theater bzw. darstellende Kunst:

Es ist einem enttäuschten Kollegen immer möglich, zum Überläufer zu werden und dem Publikum die Geheimnisse des Stücks zu verraten, das seine ehemaligen Kollegen noch immer spielen. Jede Rolle hat ihre entlaufenen Priester, die uns erzählen, was im Kloster vor sich geht, und die Presse hat stets lebhaftes Interesse an derartigen Bekenntnissen und Enthüllungen bewiesen. GOFFMAN (1967: 150)

 

 

Literatur

GOFFMAN Erving (1959): Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag. [zuerst engl.: The Presentation of Self in Everyday Life, Doubleday & Company, Inc., New York] 7. Aufl. München: Piper 1998.

GOFFMAN Erving (1967): Interaktionsrituale: Über Verhalten in direkter Kommunikation. [zuerst engl.: Interaction Ritual: Essays on Face- to- Face Behavior, Anchor Books, Doubleday & Company, Inc., Garden City, New York] 3. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994.

Marquard, Odo (1979): Identität: Schwundtelos und Mini-Essenz – Bemerkungen zu einer Genealo-gie einer aktuellen Diskussion. In: Marquard, Odo / Stierle, Karlheinz. Poetik und Hermeneutik VIII. Identität. München: Fink, 347-369.

Tucholsky, Kurt (1929): „Schwarz auf Weiss“. In: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Herausgegeben von Mary Gerold-Tucholsky u. Fritz Raddatz. 1975, Band 7, S.49.