„Vertrauen ist der Anfang von allem“, lautete einmal der Werbeslogan eines bedeutenden deutschen Bankhauses. Denn Vertrauen ist offensichtlich eine Voraussetzung menschlichen Zusammenlebens. Allerdings motiviert den Menschen auch das Misstrauen gegenüber Menschen und Institutionen. Für die Optionen Vertrauen und Miss-trauen gibt es jedoch einen wichtigen Unterschied: Misstrauen ist ein negatives Vor-Urteil von stabiler Substanz. Vertrauen ist als positives Vor-Urteil dagegen viel fragiler. Dies hat Konsequenzen für die Kommunikation von Vertrauen.
Der Titel, des 1968 erschienen Buches von Niklas Luhmann, ist so abstrakt wie seinerseits komplexitätsreduzierend zugleich: Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität
Zunächst lässt sich Vertrauen als Problem des Entscheidens im Angesicht einer ungewissen Zukunft fassen. Es sei an Heinz von Foersters Diktum erinnert, „only those questions that are in principle undecidable, we can decide“ (Foerster 1992, S. 14). Denn, wenn der Weg eindeutig und alternativlos ist, bedarf es keiner Entscheidung mehr. Ähnlich verhält es sich mit dem Vertrauen. „Der völlig Wissende braucht nicht zu vertrauen“, schreibt Simmel (1908, S. 263). Für den Umgang mit einer ungewissen Zukunft sind daher riskante Vorleistungen unumgänglich. Vertrauen ist nach Luhmann ein Brückenschlag in die Zukunft, denn „wer Vertrauen erweist, nimmt Zukunft vorweg. Er handelt so, als ob er der Zukunft sicher wäre. Man könnte meinen, er überwinde die Zeit, zumindest die Zeitdifferenzen“ (Luhmann 1968, S. 8).
Der Vertrauende kann, wenn überhaupt, in einem akzeptablen Zeithorizont kaum überprüfen, ob das Vertrauen gerechtfertigt war. Eine Möglichkeit, die Chance für Vertrauen zu erhöhen, besteht darin, mit Sanktionierungen zu drohen und im Falle eines Vertrauensverlusts Sanktionen auch durchzusetzen. So sind Bestrafungen vor Gericht auch als Folge eines Vertrauensmissbrauchs zwischen Staat und Bürger zu sehen. Bereits Thomas Hobbes beschreibt in seinem Leviathan (1651, S. 102) die Aufgabe des Souveräns unter anderem darin, als richterliche Instanz Vertrauensbruch mit Sanktionen zu belegen. Persönliches Vertrauen wird also ersetzt durch Vertrauen in ein mit Sanktionsvollmachten ausgestattetes übergeordnetes Funktionssystem.
Sanktionen galten aber auch schon im Mittelalter als probates Mittel, um Vertrauensmissbrauch zu sanktionieren (vgl. Leitherer 1956). Dazu erfanden die Zünfte allerlei Verfahren der Selbstkontrolle. Bäckermeister, die es mit dem Gewicht ihrer Brötchen nicht so genau nahmen oder das Backwerk durch Zugabe von Kalk aufzuhellen versuchten, wurden öffentlich „geschnellt“, das heißt mehrmals mithilfe einer eigens entwickelten Apparatur kopfüber zu Strafe in einen Tümpel getunkt.
Neben dem Vertrauen zwischen Individuen wird in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft das Vertrauen zu Institutionen und Teilsystemen der Gesellschaft wie der Politik oder dem Finanzsystem für das Individuum immer herausfordernder. Gerade gegenüber Banken kommt es zu Informationsasymmetrien. Über Banken und ihre Geschäftspraktiken, die Anlass zum Misstrauen geben, erfährt man meist nur aus der Presse. Der Kunde, der einen Kredit beantragt, muss hingegen die Hosen runterlassen und seine finanzielle Lage offenbaren und zu allem Überfluss des Misstrauens wird abschließend eine Auskunft bei der SCHUFA eingeholt. Pikanterweise wirbt diese Auskunftei auch noch mit dem Slogan „Wir schaffen Vertrauen“.
Nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ scheint Transparenz also das vielversprechende Mittel zu sein, um Vertrauen zu erzeugen. Lässt sich vielleicht sogar durch die Parole „Vertrauen durch Transparenz“ der Unternehmensberater Eccles und Piazza (2003) verlorenes Vertrauen zurückgewinnen?
Die SINNSPIELER sehen es so:
Ein argwöhnischer Ehepartner, der einen Privatdetektiv beauftragt um den Partner zu beschatten, hat hinterher vielleicht Transparenz. Das Vertrauen ist verloren und ob es zurückgewonnen werden kann, bleibt fraglich. Da nützt es meistens auch nichts, auf Nummer sicher zu gehen. In dem Westernepos Spiel mir das Lied vom Tod bettelt ein Mann um das Vertrauen des Bösewichts Frank (Henry Fonda). Worauf Frank ihn mit den Worten erschießt: „Soll ich einem Mann trauen, der sich’n Gürtel umschnallt und außerdem Hosenträger hat? Einem Mann, der noch nicht mal seiner eigenen Hose vertraut?“ Vertrauenskommunikation erscheint aufrichtig. Aber „Aufrichtigkeit ist inkommunikabel, weil sie durch Kommunikation unaufrichtig wird“, warnt Niklas Luhmann (1984, S. 207). So dürfte auch dem Naiven klar sein, dass ein Unterschied zwischen Meinen und Sagen besteht. Wenn aber das Gesagte nicht das Gemeinte sein muss, kann man umgekehrt auch nicht sagen, dass man meint, was man sagt.
Der Anfang von allem ist genau genommen nicht Vertrauen, sondern Vertrautheit. Dass es dabei keinesfalls nur um eine bereits erlebte gemeinsame Interaktionsgeschichte gehen muss, sondern um Eindrücke, zeigt sich zum Beispiel am Beginn von Intimbeziehungen. Beide Partner erleben auch ohne gemeinsame Vita den Eindruck des Vertrautseins. Diese Vertrautheit sieht Luhmann als „Voraussetzung für Vertrauen wie für Misstrauen, das heißt für jede Art des Sichengagierens in eine bestimmte Einstellung zur Zukunft.“ (Luhmann 1968, S. 22f) Somit steht Vertrautheit – und nicht etwa Vertrauen wie im Slogan eingangs versprochen – am Anfang. Erst aus der Vertrautheit erwächst „Vertrauen, als Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen“ (Simmel 1908, S. 263). Der Vertrauende geht dabei in eine riskante Vorleistung, indem er eine Zukunftsbestimmung über den Handlungsausgang riskiert, die nicht auf Wissen beruht, sondern allein darauf, wie er die Vertrauenswürdigkeit der Person einschätzt, der er Vertrauen entgegenbringt. Im biblischen Verständnis ist daher der Glaube an Gott die Voraussetzung für Vertrauen. Glaube und Vertrautheit bedingen sich gegenseitig. Die Menschen verlieren den Glauben weil sie offensichtlich immer weniger vertraut sind mit politischen und ökonomischen Themen und ihren Akteuren.
Literatur
Eccles, R., Di Piazza, S. (2003):Vertrauen durch Transparenz Die Zukunft der Unterneh-mensberichterstattung, Weinheim 2003.
Foerster, H. v. (1992): Ethics and Second Order Cybernetics. In: Cybernetics and Human Knowing, 1.1, pp. 9–20, 1992.
Hobbes, T. (1651): Leviathan, hg. von Iring Fetscher, Frankfurt a. M. 1984.
Leitherer E. (1956): Das Markenwesen der Zunftwirtschaft. In: Der Markenartikel, 18. Jg. (1956), S. 685-707.
Luhmann, N. (1968): Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 1994.
Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme, Frankfurt 1987.
Simmel, G. (1908): Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Gesammelte Werke. Zweiter Band, Berlin 1983.